Seit April 2018 arbeitet Sifa in der Gruppe 2 im Young Refugee Center (YRC) und beantwortet mir (Jasmin) ein paar Fragen zur Traumapädagogik in ihrem Arbeitsalltag.
Ist dein Arbeitsplatz für dich ein sicherer Ort?
Ja, ich fühle mich schon sicher. Es gibt nichts, weshalb man sich unsicher fühlen müsste. Man ist ja auch in der Nacht nicht alleine im Haus. Früher, als es die Gruppe 3 noch nicht gab, waren wir gerade in der Nacht oft alleine im Haus für Gruppe 1 und 2 zuständig. Das war schon etwas unheimlich.
Ist das YRC auch für die Jugendlichen ein sicherer Ort?
Ich würde sagen, die Sicherheit für die jungen Menschen sind wir selbst. Wir geben ihnen Sicherheit, da wir Betreuer*innen 24h für sie da sind und sie jederzeit zu uns kommen können. Wie die jungen Menschen die Räumlichkeiten empfinden, weiß ich nicht.
Gibt es etwas, das du in Bezug auf den sicheren Ort gerne verbessern möchtest?
Ich finde, es sollten mehr Mitarbeiter*innen da sein. Wir bräuchten mehr Mitteldienste, um Termine zu begleiten, ohne die Gruppe in dieser Zeit an andere Gruppen anbinden zu müssen. Und die Räumlichkeiten könnten wohnlicher sein. Textilien, wie Vorhänge und Teppiche und auch farbige Wände würden ein gemütlicheres Klima schaffen.
Handeln die Pädagog*innen nach dem traumapädagogischen Grundsatz, der Annahme des guten Grundes?
Ich denke schon, dass die meisten Pädagog*innen sehr darauf bedacht sind, Sachverhalte zu verstehen und nicht zu urteilen. Ich finde, dass sich hier bei den Pädagog*innen seit der Weiterbildung viel verändert hat. Es wird weniger verurteilend gehandelt und Differenzen werden weniger auf der persönlichen Ebene verstanden.
Was erwartest du von der Leitung in Bezug auf die Annahme des guten Grundes?
Von den Leitungskräften erwarte ich, dass sie bei Unklarheiten, vermeintlichen Fehlern oder Differenzen neutral sind und zunächst alle Beteiligten anhören. Wenn Leitungskräfte bereits eine Information von anderen erhalten haben und noch nicht mit allen Beteiligten gesprochen wurde, sollten sie in die Situation unparteiisch reingehen und alle Betroffenen anhören, um dann mögliche Handlungsalternativen zu besprechen.
Ist der Umgang zwischen Pädagog*innen und Jugendlichen wertschätzend?
Ich bekomme es nicht bei allen Mitarbeitenden mit, aber generell finde ich den Umgang mit den Jugendlichen eigentlich wertschätzend. Auch die Jugendlichen sind uns gegenüber i.d.R. sehr wertschätzend. Letztens hat uns ein Jugendlicher vor seinem Transfer ein richtig schönes selbstgemaltes Bild von einer Katze mit einem Schmetterling auf der Nase geschenkt. Das sind wirklich schöne Gesten.
Inwiefern haben die Jugendlichen im YRC die Möglichkeit zur Partizipation?
Puh, das ist bei uns im Haus wirklich schwierig, da wir sehr genaue Abläufe haben und diese kaum bis gar nicht beeinflussbar sind, wie zum Beispiel das Alterseinschätzungsgespräch oder der Transfer. Ich finde es echt schwierig, denn selbst das Essen wird geliefert. Nicht mal beim Essen können sie mitbestimmen, was sie essen wollen.
Tatsächlich sagen die Jugendlichen immer im Erstgespräch, dass das Essen nicht passt und fragen, ob es da eine Möglichkeit für ein anderes Essen gibt. Da sollten wir versuchen, etwas zu ändern. Ich finde, es sollte möglich sein, dass am Wochenende selbst gekocht werden darf. Gemeinsames Kochen, als Angebot mit den Jugendlichen wenigstens am Wochenende, wäre toll.
Die Freizeitgestaltung ist wegen Corona auch nochmal eingeschränkter. Am ehesten können die Jugendlichen aber wohl bei der Freizeitgestaltung partizipieren. Das wöchentliche Sportprogramm von James finde ich super. Wir in Gruppe 2 bräuchten mehr Personal, um auch solche Angebote anbieten zu können.
Hast du als Pädagogin die Möglichkeit zur Partizipation?
Ja. Ideen kann man immer einbringen und sie werden auch ernst genommen. Je nach Möglichkeit lassen sie sich manchmal dann auch umsetzen.
Ich würde gerne besser wissen, wo unsere Mitbestimmung ausdrücklich gewünscht ist und wo wir mitbestimmen dürfen. Wann steht es mir zu und wo darf ich mitbestimmen?
Da wir im YRC fast immer direkt von den Entscheidungen anderer Gruppen und Bereiche betroffen sind und unsere Bereiche sich alle gegenseitig bedingen, würde ich mir mehr direkte Kommunikation zwischen den Gruppen und Bereichen wünschen.
Wie wird die Transparenz gegenüber den jungen Menschen gelebt?
Gegenüber den Jugendlichen sind wir, denke ich, sehr transparent und klären sie auch über ihre Rechte auf.
Wir führen Erstgespräche und dabei können wir den Jugendlichen mit Dolmetscher*in viel erklären. Zudem machen wir mittlerweile auch Gruppenabende. Ein Jugendlicher hat letztens durch die Gruppenabende endlich angefangen, über sich und seine Gedanken zu sprechen. Der Gruppenabend war wie ein Eisbrecher. Es wundert mich, dass wir das nicht schon viel früher gemacht haben.
Die Jugendlichen wissen oft gar nicht, dass sie mitentscheiden dürfen. Sie kommen, aus unserer Sicht, oft aus restriktiven Ländern. Daher sage ich ihnen immer, dass sie mitbestimmen und mitgestalten können und auch sollen. Natürlich müssen auch wir manchmal etwas vorgeben. Viele sind erst mal überfordert, selbst Entscheidungen zu treffen.
Könnte die Transparenz für die Jugendlichen noch verbessert werden?
Ich würde mir einen AK Partizipation wünschen, welcher entweder alle zwei Wochen oder einmal im Monat stattfindet. Dabei können dann die Jugendlichen mit den Leitungskräften, ohne die pädagogischen Fachkräfte, sprechen und sich eventuell auch über die Betreuer*innen oder den Alltag austauschen und ihre Anliegen direkt bei der Verbundsleitung anbringen.
Wie könnte die Transparenz für die Pädagog*innen noch verbessert werden?
Ich finde, es gibt Unwissenheit über die rechtlichen Grundlagen. Ich wünsche mir mehr Information über die Rechts- und Entscheidungsgrundlagen. Ein Fortbildungstag für das ganze YRC fände ich hier sehr gut, damit es eine gemeinsame Wissensgrundlage gibt. Gerne auch mit Beteiligung von externen Institutionen.
Hast du bei den Pädagog*innen, die die zertifizierte traumapädagogische Weiterbildung machen, eine Haltungsveränderung im Laufe der Weiterbildung festgestellt?
Ja. Sie versuchen Schwierigkeiten mehr als Team zu lösen. Teammitglieder werden ins Boot geholt und jede und jeder Einzelne wird verstärkt mit ihren und seinen Eigenheiten akzeptiert. Ich glaube, die Traumapädagogik stärkt auch die Empathie. Es wird zudem weniger auf der persönlichen und mehr auf sachlicher Ebene geklärt. Es geht um die Sache und nicht um persönliche Belange. Auch konnte ich einen entspannteren Umgang miteinander beobachten. Das sehe ich schon vermehrt bei den Kolleg*innen, die die traumapädagogische Weiterbildung gemacht haben.
Hast du bei den Leitungskräften eine Haltungsveränderung feststellen können?
Traumapädagogik wird immer wieder thematisiert und es wird ersichtlich, dass die Umsetzung der Ansätze gelingen kann.
Ich schätze es, wenn die Leitung zu ihren/seinen Fehlern steht und diese offen anspricht. Das finde ich sehr wertvoll. Das gilt allerdings auch für die Mitarbeiter*innen.
Ich würde mir wünschen, mehr Präsenz der oberen Leitung von Just M zu erleben, vor allem zu Zeiten, in denen die Pandemie uns alle vor große Herausforderungen stellt.
Empfindest du Spaß und Freunde im Arbeitsalltag?
Ja, allein schon wegen den Jugendlichen empfinde ich Spaß und Freude in der Arbeit. Unsere Arbeit bringt eine gewisse Alltags-Komik mit sich. Es passieren immer lustige Sachen, wenn man aktiv am Alltag der Jugendlichen teilnimmt und offen ist.
Auch im Team finde ich es schön, wenn man sich gegenseitig ein bisschen aufziehen kann und nicht alles zu ernst nimmt.
Was fördert den Spaß und die Freude in deiner Arbeit?
Eine Zeit lang wurde sehr viel gejammert. Das hat sich zum Glück geändert. Ich finde es richtig schön, wenn mal die Zeit ist, gemeinsam mit den Pädagog*innen der anderen Gruppen, die gerade im Dienst sind, sich auf einen Kaffee zu treffen und zusammen mit den Jugendlichen etwas zu machen. Außerdem finde ich es wichtig, dass die Jugendlichen die Pädagog*innen der Gruppe 1 auch nach dem Wechsel in Gruppe 2/3 noch sehen und erleben. Die Jugendlichen fragen immer wieder nach einzelnen Pädagog*innen aus Gruppe 1.
Eigentlich muss man sich selbst nur nicht zu wichtig nehmen und den Humor zulassen. Es entstehen so viele lustige Situationen im Alltag. Ansonsten tragen natürlich die Freizeitangebote erheblich zum Spaß bei. Gemeinsames Kochen, Uno-Turniere, Billard usw.
Ist dir in diesem Gespräch etwas besonders aufgefallen?
Im Gespräch ist mir aufgefallen, dass die Partizipation der Jugendlichen bei uns viel zu kurz kommt.
Einen sicheren Ort, finde ich, können wir den Jugendlichen gut bieten. Die Jugendlichen, die bei uns ankommen, fühlen sich definitiv alle sicher. In allen Gruppen. Das zeigt sich auch dadurch, dass sie uns innerhalb kürzester Zeit bereits vertrauen. Auch nach dem Transfer suchen uns die Jugendlichen auf und fragen uns um Rat, wenn sie Schwierigkeiten haben.
Dein Fazit zur traumapädagogischen Organisationsentwicklung:
Ich würde sagen, es wurde durch die Traumapädagogik ein Stein ins Rollen gebracht. Jede und jeder schaut mehr auf sich selbst und es wird weniger der Fehler bei den anderen gesucht. Es muss nicht immer alles gut laufen. Aber ich finde es schön, dass die persönliche Entwicklung vorangetrieben wurde. Ich finde es toll, dass wir auch persönlich von der traumapädagogischen Entwicklung von Just M und der Abteilung profitieren.
Die meisten wussten am Anfang gar nicht, was Traumapädagogik eigentlich bedeutet und was sich dadurch verändert. Ich finde es wichtig, dass nicht nur Fachwissen vermittelt wird, sondern wirklich die persönliche Entwicklung vorangetrieben wird.
Ich ärgere mich, dass ich mich dafür nicht angemeldet habe. Weil es alle gemacht haben, war es für mich dann nicht mehr interessant.
Ich freue mich, im Sommer die traumapädagogische Online-Schulung noch zu absolvieren.
Danke Sifa für das schöne Gespräch und die Zeit, die du dir dafür genommen hast.