„Just M geht in Kooperation mit dem Institut wundeRkinder den anspruchsvollen Weg einer traumasensiblen Pädagogik, die menschliches Leid anerkennt und auf das Heilsame im Menschen und auf posttraumatisches Wachstum ausgerichtet ist.“
Christina Rothdeutsch-Granzer
Die pädagogischen Fachkräfte des Jugendhilfeverbundes Just M begleiten sehr viele junge Menschen, deren Lebensgeschichten prägende seelische und/oder körperliche Gewalt, Fluchterfahrungen und/oder mangelnde familiäre Fürsorge aufweisen. Die Erlebnisse führten oft zu tiefen Traumata, die sich sowohl im Verlust von Vertrauen in sich selbst und andere zeigen, als auch zu starken Bindungsproblemen führen.
Viele Jugendliche haben Reaktionsweisen entwickelt, die eine Eingliederung in die Gesellschaft erschweren können. Geringere Stresstoleranz, Stimmungsschwankungen, erhöhte Reizbarkeit, hohe Wachsamkeit wie auch übermäßige Schreckhaftigkeit treten häufig auf. Vor allem auch Konzentrations- und Schlafstörungen kennen viele Jugendliche gut von sich.
Wegen dieser Probleme schaffen es die Betroffenen nur schwer, an sich zu glauben und ihre Ressourcen zu nutzen. Viele wirken dann teilnahmslos oder gleichgültig. Manche versuchen, bestimmte Situationen/Aktivitäten zu umgehen, um ein Erinnern an das Trauma zu vermeiden. Sie wollen sich vor weiteren seelischen Verletzungen schützen. Die Handlungsweisen werden vom Umfeld oft nicht als Überlebensstrategie erkannt, dem folgend begegnet den Jugendlichen Ablehnung und Unverständnis.
Deshalb ist es uns wichtig, dass unsere Arbeit mit den Jugendlichen durch eine traumapädagogische Grundhaltung geprägt ist, in der das ‚Verstehen Wollen‘ des Erlebens der Jugendlichen große Bedeutung hat – neben der Unterstützung hinsichtlich Ausbildung, Wohnen und anderer Dinge des Alltags.
Da diese Erfahrungen nicht nur bei Just M, sondern in allen stationären Einrichtungen des Stadtjugendamtes München immer wieder auftauchen, hat sich die Abteilung Familienergänzende Hilfen, Heime, Pflege, Adoption und Wohnprojekte zur einer umfassenden Organisationsentwicklung entschlossen und bildet alle Leitungskräfte sowie alle Fachdienste und Fachkräfte in den Gruppen in unterschiedlichen Formaten in der Traumpädagogik fort.
Verantwortlich für die Qualifizierung sind Dr. Marc Schmid, Universitäre psychiatrische Kliniken Basel mit seinem Team um Birgit Lang und Martin Schröder sowie Dr. Christina Rothdeutsch-Granzer, Wunde(R)kinder Graz mit ihrem Team, das ausgehend von der „Pädagogik der Selbstbemächtigung“ nach Wilma Weiß (Fachbuchautorin und Gründerin der BAG Traumapädagogik et al.) das Feld als renommierte Expertinnen und Experten in Österreich, Schweiz und Deutschland fachlich seit langem bestellen und entwickeln.
Für die Evaluation der Ergebnisqualität der traumapädagogischen Personal- und Organisationsentwicklung wurden Herr Prof. Dr. Michael Kölch, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsmedizin Rostock und stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Frau Prof. Dr. Ute Ziegenhain, Leiterin der Sektion Pädagogik, Jugendhilfe, Bindungsforschung und Entwicklungspsychopathologie an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm gewonnen.
Nachdem wir uns in zertifizierten Schulungen und Onlinekursen mit dem heutigen Wissen und unserer eigenen Haltung intensiv auseinander setzen, können wir die vielfältigen Anforderungen an die Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen um viele neue Facetten erweitern und alte Muster korrigieren
Wir stehen den Jugendlichen als pädagogische Fachkräfte gestärkt zur Seite und begreifen die Jugendlichen selbst als die Expert*innen für ihr eigenes Leben. Das beinhaltet die Anerkennung ihrer Bewältigungsleistung unter oft so schwierigen Bedingungen.
Wir richten den Blick gemeinsam mit den Jugendlichen darauf, wer oder was ihnen im Leben schon geholfen hat, Schwierigkeiten zu meistern. Unterstützende Personen (oder auch Tiere) oder auch Spiritualität spielen dabei genau so eine Rolle wie Dinge, die einfach Spaß machen. Freude erleben zu können (z.B. beim Sport) ist wichtig, um Kraft zu sammeln, die zur Bewältigung des Alltags gebraucht wird.
Viele Jugendliche sind sich zudem nicht ihrer eigenen Stärken bewusst, obwohl sie genügend eigene Fähigkeiten haben, auf die sie stolz sein können. Wann immer möglich werden diese Faktoren gezielt gestärkt
Auch solche Reaktionsweisen, die Jugendliche in traumatisierenden Lebensumständen ausgebildet haben und die auf den ersten Blick nur zerstörerisch erscheinen (Gewaltbereitschaft, Drogenkonsum etc.), werden in ihrer Funktion gesehen. Sie haben einen Grund, auch wenn er nicht immer leicht zu verstehen ist.
Wir suchen gemeinsam mit den Jugendlichen nach diesem Grund und dann auch nach neuen Lösungen für ihre Probleme und Konflikte, die weniger schädigend sind. Dies gelingt meist nicht von heute auf morgen. Erst muss ein Gefühl von Sicherheit entstehen, damit Vertrauen wachsen kann und schließlich auch der Mut, den alten Problemen mit neuen Strategien zu begegnen.
Sich selbst akzeptieren zu lernen – mit allen Stärken und Schwächen – ist die Grundlage dafür, bestehende Probleme anzugehen und etwas verändern zu wollen.
Die eigenen Bedürfnisse kennen und benennen können, gut für sich sorgen können, sich als Gestalter*in des eigenen Lebens begreifen und nicht zuletzt sich als Teil einer Gemeinschaft erleben können – das alles stellt die Basis dafür dar, zu einer selbstbewussten und selbständigen Persönlichkeit heranzuwachsen.
Während der Begleitung der Jugendlichen auf einem Teil ihres Lebensweges fördern wir die Verantwortungsübernahme der Jugendlichen dadurch, dass wir ihr Erleben genau so ernst nehmen wie unser eigenes. Sie werden in Entscheidungen einbezogen und wir sind darum bemüht, unsere Absichten und unser Handeln möglichst gut zu erklären. Erfahrungen von Machtlosigkeit und Ausgeliefert Sein wollen wir unbedingt vermeiden.
Die Pädagog*innen stellen den von Traumafolgen betroffenen Jugendlichen außerdem ihr Wissen über die Auswirkungen von Traumatisierung zur Verfügung, um sie darin zu unterstützen, dass sie sich selbst besser verstehen und neue Wege der Problembewältigung erproben können. Sie kennen Techniken dazu, wie man es schaffen kann, innerlich zur Ruhe zu kommen und seine Gefühle zu regulieren (z.B. Wutanfälle oder Ritzen verhindern, Schlafproblemen begegnen). Gemeinsam können Notfallstrategien entwickelt werden, um Krisen möglichst zu vermeiden.
Auch wenn Jugendliche nicht (mehr) bei ihren Eltern leben, spielt die Familie in ihrem Erleben meist eine sehr große Rolle. Die Familien werden in Absprache mit den Jugendlichen in die pädagogische Arbeit einbezogen.
Die Eltern können darauf vertrauen, dass ihnen frei von Vorurteilen und Schuldzuweisungen begegnet wird und eine Zusammenarbeit mit ihnen ‚auf Augenhöhe‘ eine Selbstverständlichkeit ist. Dies gilt auch dann, wenn es zu Verletzungen des Kindeswohls gekommen ist. Auch dann unterstützen wir Eltern darin, gemeinsam mit ihnen die Ursachen hierfür verstehen zu lernen, Verantwortung dafür zu übernehmen und in Zukunft ihre Verantwortung als Sorgeberechtigte in konstruktiver Form zu tragen und ggf. auch eigene Fehler einzugestehen.